Bäuer:innenproteste: Eine linke Haltung zur Landwirtschaft entwickeln.
5. Januar 2024 - 14:40 Uhr
Am 4. Januar 2024 hatte addn.me die Gelegenheit mit einem Vertreter der Initiative Grüne Gewerke bei der Freien Arbeiter:innen Union Dresden (FAU) über die geplanten Proteste von Landwirt:innen gegen die Subventionskürzungen bei Agrardiesel und Fahrzeugsteuer zu sprechen.
Die Ampel-Regierung hat als Teil ihrer Kürzungsmaßnahmen zur Rettung des Haushaltes Subventionen für Agrardiesel und Subventionen für Fahrzeuge von Landwirt:innen gestrichen bzw. gekürzt. Ist das nicht eine klimafreundliche Abkehr von Subventionen für die fossile Industrie?
Die Streichung der Subventionen und Vergünstigungen ist im Wesentlichen keine Klimamaßnahme. Das ist für Außenstehende vielleicht schwer nachzuvollziehen. Es ist zumindest keine Klimamaßnahme bei den kleinen Betrieben. Es gab den Vorschlag von Bauernverbänden wie der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), eine Begrenzung einzuführen. So dass diese Vergünstigungen nur für Betriebe gelten, die unter 10.000 Liter Diesel im Jahr verbrauchen. Da kann mensch sich aber auch trefflich über die Höhe streiten. Bei den ganzen kleinen Betrieben sieht die Situation jedoch so aus. Hier wird der meiste Sprit beim Transport der Waren zum Kunden verbraucht. Ansonsten noch bei unverzichtbaren Arbeitsgängen wie Aussaat und Ernte. Wo sich am ehesten Diesel einsparen lassen würde, wäre der Bereich der Unkrautbekämpfung. Das wird mechanisch gemacht, also mit Gerätschaften, aber im Wesentlichen zu dem Zwecke, dass mensch es nicht mit Pestiziden macht. Das heißt im Klartext, wenn der Diesel teurer wird, stehen die Betriebe vor enormen Mehrkosten. Oder wenn sie günstige Angebote bei den Pestiziden haben, haben sie einen Anreiz auf mehr Pestizideinsatz. Das kann auch niemand wollen. Das ist die Situation beim Treibstoffverbrauch.
Dazu muss mensch außerdem wissen, die meisten Geräte stehen derzeit noch nicht als E-Variante auf dem Markt zur Verfügung, zumindest nicht so erschwinglich, wie benötigt. Und würden die Betriebe jetzt neu ankaufen, so wie die Bundesregierung sich das vorstellt, wäre das natürlich auch wesentlich teurer, denn auch auf einen E-Traktor, wenn es ihn denn marktfertig gäbe, würden wieder KFZ-Steuern anfallen. [Anmerkung Redaktion: Auch für Nutzfahrzeuge gilt die Steuerbefreiung bis 2030.]
Was auch noch zu sagen ist, aus der ehemaligen „Zukunftskommission Landwirtschaft“ und aktuell aus der Borchertkommission – einem Zusammenschluss verschiedener Bauernverbände mit Umweltschutzverbänden – gab es sehr weitreichende Forderungen. Da wurde gefordert 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Fleisch zu erheben und dafür vegane Produkte von der Mehrwertsteuer frei zu stellen. Auf solche Maßnahmen haben sich auch die konservativen Bauernverbände eingelassen, um ökologischer und klimafreundlicher zu werden. Die Politik hat allerdings gar nicht reagiert. Das macht jetzt auch einen großen Teil der Wut aus: Dass es sehr weitreichende, für konservative und konventionelle Verbände schmerzhafte Vorschläge gab, auf die die Regierung gar nicht reagiert hat.
Es gab bereits größere Proteste von Landwirt:innen, weitere werden in dieser Woche folgen. Welche Akteur:innen sind von Seite der Landwirt:innen dabei? Wie sind sie politisch einzuschätzen?
Wichtig zu kennen ist der deutsche Bauernverband, in Sachsen durch den sächsischen Bauernverband vertreten, den mensch eher konservativ einschätzen kann von seiner Mitgliederbasis her. Er stellt gleichzeitig den größten Verband dar. Dann gibt es das Netzwerk Land schafft Verbindung (LSV), welches ein sehr heterogenes Netzwerk aus Landwirt:innen ist, die sehr aktionsbereit sind. Die werden meiner Einschätzung nach auch einen Großteil der Blockaden in den nächsten Tagen stemmen. Da gibt es seit langer Zeit sehr starke rechte Einflüsse, wenngleich es immer wieder Ortsverbände gibt, die sich gegen rechts positionieren und sich abgrenzen. Es gab auch mehrere Spaltungen. Aber mensch muss bei dem LSV immer schauen, wer dahinter steht und wie die sich verhalten.
Dann gibt es die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Das ist ein Bauernverband der eher links steht, sich auch für Tierwohl und Klimaschutz einsetzt – wenngleich auch nicht in antispeziesistischer Weise. Die ABL vertritt eher kleine und biologische Landwirt:innen. Unserer Einschätzung nach ist das gerade die progressivste Kraft, die es auch zu unterstützen gilt. Das sind die wesentlichen Landwirtschaftsakteur:innen.
Es gibt natürlich uns als Gewerkschaftsinitiative, wobei wir sehr jung und im Aufbau sind. In Sachsen gibt es natürlich noch das ganze Milieu rund um die Montagsdemos, also vor allem die Freien Sachsen (FS) um ‚Team Schreiber‘. Sie haben sehr aktiv mobilisiert auf diesen 8. Januar, den sogenannten ‚Tag des Widerstands‘ in Dresden. Wir konnten beobachten, dass der sächsische Bauernverband dann davon abgesehen hat, zu diesem Tag zu mobilisieren. Die ABL genauso und in Folge auch das LSV, das sich auch in der SZ von diesen rechten Protesten abgegrenzt hat. Inwieweit das stimmt, ist aber fraglich. Die FS verbreiten intern, dass der LSV weiter vor hat, am 8. Januar Autobahnen zu blockieren, Autokorsos der FS aber durchgewunken würden. Gleichzeitig haben die FS angekündigt auch ohne die großen Bauernverbände trotzdem auf diesen Protest gehen zu wollen.
Wir versuchen diese Information zu verifizieren und unter linken Bäuer:innen zu verbreiten. Soviel zu Dresden. Aber in anderen Teilen von Deutschland sieht die Lage auch ganz anders aus. Das ist ein großes Problem, dass gerade niemand einen richtigen Überblick darüber hat, wo welche rechten Strukturen aktiv sind. Auf der anderen Seite nehmen die meisten Linken gerade die Tatsache, dass Rechte aktiv sind, zum Anlass die gesamten Proteste als rechts einzustufen und sich fernzuhalten. Was es viel mehr bräuchte, wäre eine aktive Zusammenarbeit zwischen linken Bäuer:innen und zum Beispiel Antifa-Recherche-Teams, um herauszufinden, wo welche rechten Akteur:innen mitmischen.
Die aktuelle Situation ist so, dass die Bundesregierung Teile der Subventionen für drei Jahre weiterlaufen lässt und daraufhin gab es neue Entwicklungen bei dem Protestgeschehen?
Ja genau, das kam gerade eben kurz vor dem Interview erst rein. Ich hab’s noch nicht genau gesichtet, aber die KfZ-Steuerbefreiung bleibt erhalten und die Subvention des Agrardiesel soll schrittweise in drei Jahren auslaufen. Die Situation ist jetzt so, dass verschiedene Bauernverbände sagen, das reiche nicht und sei halbherzig. Der LSV hat schon ein Statement getwittert, der DBV ebenso und die ABL hat einen 6-Punkte-Plan vorgelegt. Ich denke, der wird am ehesten unterstützenswert von linker Seite sein, da es eben tatsächlich um den klimafreundlichen Umbau der Landwirtschaft bei gleichzeitiger Entlastung der Bäuer:innen geht.
Wir reden ja jetzt die ganze Zeit über Bäuer:innen. Man kann sich das ja als idyllisches Kleinunternehmen vorstellen oder eben als modernen Massenbetrieb. Wie geht ihr damit um, dass ihr euch auch mit Leuten solidarisiert, die moderne Industrieunternehmen führen?
Was wir als Grüne Gewerke schon vor den Protesten gemacht haben, ist zur „Wir haben es satt„-Demo am 20. Januar in Berlin zu mobilisieren. Das ist ein breites Bündnis für eine emanzipatorische Agrarwende. Die Situation in den Betrieben ist natürlich total unterschiedlich. Bayern ist noch extrem geprägt von kleinen Familienbetrieben, wohingegen wir in Ostdeutschland eher Großbetriebe über 200 Hektar mit wesentlich größeren Belegschaften haben.
Wir selber befassen uns damit, sind für eine Umgestaltung der Landwirtschaft und unterstützen Konzepte wie das der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) sehr. Wobei wir natürlich dafür kämpfen, dass diese kollektiv organisiert werden und gemeinsam über Arbeitsbedingungen und Produktion entschieden wird.
Für uns als Gewerkschaft sind die großen Betriebe wesentlich leichter organisierbar, als kleine Familienbetriebe. Zu den aktuellen Protesten mobilisieren gerade vorrangig Unternehmer:innen und das ist für uns eine schwierige Situation. Aber die Maßnahmen der Regierung haben natürlich auch einen Effekt für uns Arbeiter:innen. Und Arbeiter:innen sind darum auch beteiligt an den Protesten und die wollen wir vor allem ansprechen.
Was macht die FAU zu den Protesten? Und seid ihr bisher schon in Arbeitskämpfe in der Landwirtschaft involviert gewesen?
In Dresden ist die Lage der Proteste sehr dynamisch. Wir sind immer noch am Sichten, wer was macht und wo rechte Akteur:innen dominant sind. Wir schauen vor allem nach politisch unorganisierten oder progressiv organisierten Bäuer:innen, um die zu unterstützen. Da werden wir zusammen mit dem ABL zu Protesten gehen und auch aufrufen. Ansonsten sind wir gerade eher eine Initiative und noch im Aufbau. Wir informieren uns über die Arbeitssituation auf verschiedenen Höfen und beraten Menschen, die da auf Arbeitssuche sind, z.B. zum Stichwort Ausbildungsbedingungen. Es gab schon kleinere Interventionen und Betriebsarbeit, nix Großes aber. Für die nächste Saison planen wir mit den Grünen Gewerken bundesweit die Herausgabe von Flyern in sechs Sprachen, die sich an Saisonkräfte richten. Vor allem migrantische Saisonkräfte haben das härteste Brot in dieser Branche zu beißen: die schlechtesten Arbeitsbedingungen und die größten Ausbeutungsskandale finden sich hier.
Hast du an dieser Stelle noch etwas anzufügen, was dir auf der Seele brennt?
Ich kann nur allen empfehlen, sich – bei aller berechtigen Kritik an verkürztem Konsumverzicht – mit der Produktion der Nahrungsmittel zu beschäftigen und bei Solawis Lebensmittel zu beziehen, wenn möglich. Sie sind eben einfach die progressivsten Orte, um Lebensmittel zu kaufen. Und sie zahlen in der Regel auch höhere Löhne als die konventionellen Betriebe und bieten bessere Bedingungen – überwiegend. Also macht euch kundig, wo ihr konsumiert und entwickelt eine Haltung zur Landwirtschaft!
Herzlichen Dank für das Interview und gutes Gelingen für eure Organisierung!
Titelbild: Bäuer:innendemonstration im Jahr 2019 in Berlin von Membeth.
Veröffentlicht am 5. Januar 2024 um 14:40 Uhr von Redaktion in Antifa, Nazis, Ökologie